Vorweg gleich die Antwort auf Frage: Warum ich das schreibe?
Weil in den vergangenen Tagen inmitten vieler, persönlicher Nachrichten und Infohäppchen auf Facebook, zwei Texte waren, denen ich mehr Aufmerksamkeit schenkte. Und zwar jenem von Puls4-Info-Chefin Corinna Milborn: „Wie viel unserer Arbeit und Zeit können wir Facebook schenken, ohne den Journalismus zu vernichten?“ und dem von Zib2-Anchormann Armin Wolf mit dem Titel „Wir müssen Social Media mit Journalismus infiltrieren”, einer Rede, die er am Mediengipfel der 30. Münchner Medientage hielt. Dazu kam der Leitartikel von Falter-Herausgeber und Chefredakteur Armin Thurnher „Facebook, alte Medien, neuer und alter Hass“ und der Facebook-Splitter von Reinhard Göweil, dem Chefredakteur der Wiener Zeitung, in dem er sagte, dass sich die Redaktion seines Mediums dazu entschlossen habe, nicht über eine Strache-Rede zu berichten - mit der Begründung: „Sie war zu furchtbar.“
Sie alle zeigen, dass Journalismus im Umbruch ist und wie dringend wir eine Debatte über Medien und deren Aufgaben brauchen – und das große Fragezeichen, wie diese Übungen in einer sich neu strukturierenden Medienlandschaft zugleich zu bewältigen und zu finanzieren sind.
Und schon sind mehr als 1000 Zeichen verbraucht, genaugenommen 1216 und ein guter Teil der möglichen WeiterleserInnen vermutlich nicht hier gelandet, sondern an anderen Stellen im Netz verschwunden – bestenfalls auf den zitierten Seiten, ein Gutteil aber wieder bei den Neuigkeiten auf ihrer Timeline und jene, die nun tatsächlich in die Trafik gelaufen sind oder auf die Falter-Homepage besucht haben, um den aktuellen Falter zu kaufen, weil dieser Text als einziger nicht kostenfrei online verfügbar ist, mögen sich bitte persönlich bei mir melden. Ich gehe davon aus, dass meine Mailbox nicht überfüllt sein wird - womit ich wieder beim eigentlichen Thema bin, den 10 Gründen, warum wir Qualitätsjournalismus brauchen.
Und es ist mir bewusst, dass ich dieses Spiel gerade mitspiele, wenn auch nur bedingt. Denn laut einer Social Media Expertin, die ich vor kurzem dazu befragt habe, bestraft es jene, einzelne JournalistInnen wie auch Medien, die die User auf ihre eigenen Plattformen umzuleiten versuchen. Der Grund dafür ist einfach und aus den alten Medien bekannt: Jedes Medium versucht so viele LeserInnen oder User wie möglich zu erreichen, Reichweite bringt Werbeeinnahmen – und diese will Facebook möglichst selbst generieren und nicht anderen Medien schenken, indem es den Usern allzu leicht macht, die Seite wieder zu verlassen. Also bitte einen Daumen hoch, dass ihr hier werbefrei weiterlesen könnt – auch wenn die Weiterverbreitung auf Facebook darunter leidet.
Ob der Inhalt wahr oder falsch ist, den allgemein gültigen Regeln von Kommunikation entsprechend nicht beleidigend, sexistisch oder rassistisch ist und ob er journalistischen Kriterien folgt – zum Beispiel Fakten überprüft sind, ob geschilderte Sachverhalte nur einem Einzelfall oder exemplarisch den Erfahrungen vieler entsprechen oder in ein größeres Ganzes eingeordnet sind, um nur ein paar zu nennen, zählt nicht. Was zählt, ist die Form, Videos und Beiträge mit Bild werden gegenüber reinem Text bevorzugt, die Verbreitung, also die Klicks, und die Reaktionen, viele Likes, Kommentare und wie oft Content geteilt wird. Beinahe deshalb, weil Facebook ungern Bilder von Nackten verbreitet, selbst wenn es sich um Kunst handelt, noch weniger gern als Hasspostings übrigens, die häufig trotz Meldung oder etwas verklausuliert stehen bleiben.
Jene die Content produzieren, unterliegen anders als JournalistInnen klassischer Medien keiner ethischen Selbstkontrolle und keiner Kontrolle der Redaktion. Facebook übernimmt bis auf die kleinen genannten Einschränkungen keine Verantwortung für die verbreiteten Inhalte. Im Gegenteil, gegen Beleidigungen oder Falschmeldungen in Medien, auch im Boulevard, kann jeder gerichtlich vorgehen. Das Medium muss sich für solche Meldungen seiner RedakteurInnen verantworten, gegebenenfalls Strafe bezahlen. Corinna Milborn hat darauf hingewiesen, dass Facebook nicht dem Medienrecht unterliegt. Auf Facebook gilt das selbe Recht wie am Stammtisch, Geschädigte müssen sich Face-to-Face gegen den Produzenten solchen Contents behaupten. Facebook löscht Inhalte zwar, es gibt aber keine Pflicht des Mediums oder der VerursacherInnen zur Gegendarstellung. Haben Geschädigte also weniger Verbreitungsmacht als die VerursacherInnen, bleibt das erlittene Unrecht im Verborgenen. So gesehen ist Facebook als eine reine Verbreitungsplattform, kein Medium im rechtlichen Sinne, aber nennen wir es mal weiter so.
Auf Facebook und anderen sozialen Medien herrscht das Recht der Stärkeren: Eine Information steht nur scheinbar auf Augenhöhe mit jeder x-beliebigen anderen, jeder kann im Prinzip alles verbreiten – ohne klassische Medien als Gatekeeper. Klassische Medien werden oft dafür kritisiert, ausschließlich über und im Sinne von Mächtigen zu berichten. Und ja, bei der Entscheidung darüber, ob ein Thema Relevanz hat, zählt auch, wie viele Menschen sie betreffen, ob eine Information ungewöhnlich und neu ist. Aber wie in anderen Medien auch verschaffen sich in den sogenannten sozialen jene mit mehr Follower-Power mehr Gehör als andere – und oft sind es genau dieselben, die auch außerhalb der sozialen Medien gehört werden. Das Soziale an den neuen Medien ist also nur, dass sie es jedem Einzelnen selbst überlassen sich seine Gatekeeper auszusuchen. Sie lassen uns aber damit alleine, ob wir damit auch die für die gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Beteiligung notwendigen Informationen erhalten – oder eben nicht.
Klassische Medien versuchen meistens für einen Machtausgleich zu sorgen, die Mächtigen zu kritisieren und auch den Interessen von Machtlosen Gehör verschaffen. Öffentlich-rechtliche Medien haben sogar die gesetzliche Pflicht dazu, vielen privaten ist das aber ebenso ein Anliegen – ungeachtet von Werbeeinnahmen. Für letztere zahlen sie wie Corinna Milborn in ihrem Text erwähnt hat, anders als Facebook und Co, Werbeabgaben, und sie zahlen für MitarbeiterInnen, die Content produzieren, genauso wie die Technik, die es dafür braucht. Es kostet sie aber noch mehr Geld: Unternehmen, Politik und Institutionen sind heute zum Teil nicht mehr dazu bereit, in Medien Werbung zu schalten, von denen sie kritisiert werden – sie erreichen ihr Publikum direkt über soziale Medien, zahlen lieber Werbe- und PR-Agenturen dafür, ihren Content möglichst geschickt zu platzieren und für dessen Bewerbung auf Facebook, dass sie dann "ungschaut" als wichtiger für die User rankt. Dass der Filter Medium aber auch den Sinn hat, zu prüfen, ob die Informationen von Bedeutung, vollständig und glaubwürdig sind, sie darüber hinaus noch kritisch in einen Zusammenhang einordnet, bleibt dabei auf der Strecke.
Im Internet und in sozialen Medien fehlt nicht nur die Moderation, die für einen Ausgleich der Beteiligten sorgt, die Diskussion findet nicht mit- sondern nebeneinander statt. Nicht das bessere Argument, sondern die Lauten und Penetranten finden mehr Gehör in Foren genauso wie in sozialen Medien – und sei es nur, indem ihnen mehr widersprochen wird. Dem Mob gut zureden hat noch nie etwas genützt, schreibt Armin Thurnher in seinem Falter-Leitartikel. Ihm im Netz und in den klassischen Medien permanent die volle Aufmerksamkeit zu widmen ebenfalls nicht, möchte ich hinzufügen. Deshalb bin ich Reinhard Göweils Meinung, dass nicht jeder Strache-Sager einer öffentlichen Diskussion würdig ist und raumgreifend kritisiert werden muss. Das ist keine Zensur, es bringt Zeit und Raum für sinnstiftendere Themen, die unter der Daueraufmerksamkeit für die Lauten und Penetranten leiden. In diesem Sinne ist die Gegenstrategie für mich, anders als Armin Wolf das in seiner Rede vorschlägt, nicht der Gegenangriff, sondern das Stärken von Qualitätsjournalismus und seiner MacherInnen.
Es braucht nicht mal den Vorwurf Lügenpresse, um aufzuzeigen, dass das Vertrauen in klassische Medieninhalte im Schwinden ist. Das haben sich Medien und JournalistInnen zum Teil auch durchaus selbst zuzuschreiben: Medien verlieren an Vertrauen und Glaubwürdigkeit, indem sie bei ihren Einnahmequellen nicht transparent sind, indem sie nicht klar kennzeichnen, ob und welcher Content von wem bezahlt wurde, indem sie von ein und denselben JournalistInnen verlangen, Advertorials für Unternehmen, Parteien oder Interessensvertretungen zu gestalten und diese danach wieder kritisch unter die Lupe zu nehmen. HerausgeberInnen und Geschäftsführung verteidigen Redaktion nicht immer gegen die versuchte Einflussnahme von außen, im Gegenteil, manche agieren zunehmend im Sinne des Verkauf und der Werbekunden. Und es gibt genügend JournalistInnen, die unter finanziellem Druck, aus Angst den Job zu verlieren oder einfach nur deshalb, weil ihnen die Folgen ihres Tuns nicht bewusst oder egal sind, dieses Spiel mitspielen. Wenn Medieninhalte aber nicht mehr vom Pressetext unterscheidbar sind, wenn sie weder kritischer noch einordnender Filter sind, verlieren sie an Glaubwürdigkeit und der Journalismus damit eines seiner wichtigsten Qualitätsmerkmale.
Damit wäre ich bei der Frage angekommen, auf die weder die heimischen Medien noch die meisten JournalistInnen noch die Medienpolitik bislang eine Antwort gefunden haben: Wie soll sich ein solcher Qualitätsjournalismus finanzieren? Und wer jetzt auf den Stein der Weisen wartet, den habe ich bislang auch noch nicht gefunden. Ein Umdenken in den Medienhäusern, dass nicht nur die Werbung, sondern auch der Content darum herum und damit die Arbeit der JournalistInnen Geld Wert ist, wäre mal ein Anfang. Heute steht ein Angebot für freie JournalistInnen von knapp über 100 Euro für 3000 Zeichen Text dem Viertelseiten-Inserat, für das Medienhäuser 7000 Euro verlangen, gegenüber. Einen solchen Zeichensatz im Kollektivvertrag als Mindeststandard und damit Verhandlungsbasis festzulegen, ist in meinen Augen allerdings auch von der Sozialpartnerschaft mehr als fragwürdig, genauso aber, dass erfahrene KollegInnen um diesen Preis arbeiten. Für Texte in der Werbung müssen Unternehmen übrigens ein Vielfaches löhnen.
Was also braucht es, um Medienunternehmen zu animieren, es anders zu machen? Ein Anreiz wäre es, die vorhandenen staatlichen Geldpools aus Werbeabgaben, Urheberrechtsabgaben, bisheriger Medien- und Publizistikförderung, ORF-Gebühren und nicht zu vergessen die großzügig bemessenen Inseratebudgets der öffentlichen Hand nach neuen Kriterien zu verteilen. Schließlich muss es dem Staat ein Anliegen sein, dass sich seine BürgerInnen qualitativ hochwertig informieren können. Man könnte mit einer neuen Medienförderung also den Personalaufwand verstärken, dem größten Posten der meisten Medien: Schließlich brauchen Recherche, Analyse und Aufdeckerjournalismus Zeit. Für jene, die genügend Leute beschäftigen und in Aus- wie Weiterbildung investieren, gebe es dann künftig mehr, bei Lohn- und Sozialdumping, nicht nur redaktionsintern sondern wie in der Bauwirtschaft auch bei der Auftragsvergabe an Externe, dagegen weniger Geld.
Und warum nicht mit einer neuen Medienförderung eine Qualitätsförderung anstreben? Das hat nichts mit Kommunismus oder Nordkorea zu tun, wie das manche ChefredakteurInnen behaupten. Im Programmauftrag des ORF-Gesetzes sind solche Kriterien bereits formuliert: Da ist zum Beispiel von der Förderung des Verständnisses für alle Fragen des demokratischen Zusammenlebens die Rede. Vielfalt und Bildung haben einen wichtigen Stellenwert, Diskriminierung oder Schleichwerbung ist dagegen zu vermeiden. Warum sollten also private Medien, die mit Sexismus oder Rassismus ihre Reichweite steigern oder mit nicht oder kaum gekennzeichneten Advertorials Schleichwerbung betreiben, die gleiche staatliche Unterstützung erhalten wie jene, die das nicht tun? Zensur ist das nicht, die LeserInnen und WerbekundInnen können ja weiterhin selbst entscheiden, ob sie die Inhalte eines solchen Mediums konsumieren wollen – der Staat und damit wir alle müssen dieses Treiben aber nicht fördern.