06.12.2013 / Die Presse

Kap der kreativen Zukunft

Kapstadt ist 2014 Design-Hauptstadt der Welt. Die Kreativen der Stadt erobern sich ehemalige Fabrikgebäude und ganze Stadtviertel. Es ist ein Afrika, auf dessen dünner demokratischer Haut Neues mit alten Traditionen vermengt entsteht – und Nelson Mandela Tribute beinahe überall gezollt wird.

Kapstadt, 2013, Woodstock – im Jahr bevor Kapstadt Design-Hauptstadt des Jahres ist. Die Geschichte von Woodstock in Kapstadt ist anders als jene der Blumenkinder Ende der 60er-Jahre. Ja, es ist bunt: mit Galerien wie Boutique Mall The Bromwell, sie ist typisch für viele Gebäude am Albert Road. Aber von Liebe und Friede handelt die Geschichte nicht, oder nicht nur. Das heute von der Heritage Gesellschaft renovierte Gebäude war von 1927 an ein Hotel mitten in einem belebten Industrieviertel. Die Fabriken wanderten ab, die Arbeitsplätze mit ihnen. Im Viertel blieben die Vielen, die nicht mitabwandern konnten. „Es war ein Slum, die Leute schliefen auf der Straße“, beschreibt Nina Delnon, die Managerin vom Bromwell die Gegend zwischen dem heutigen Table Bay Boulevard und dem Garden Court Nelson Mandela Boulevard. In den letzten zehn Jahren ist es das nicht mehr, die Kreativen kamen ins Viertel entlang von Albert Road und Victoriastreet. Seit 2008 ist das frühere Hotel laut Delnon „ein Coffeeshop mit einem Plus.“ Mandel-Croissants, Cafe Latte und eine gurgelnde Espressomaschine im Erdgeschoss – das Plus sind die Ausstellungräume mit Mode, mit Möbeln, mit Schmuck, mit Skulpturen, mit Bildern, in den ehemaligen Zimmern des Hotels: „A very merging place“, sagt Delnon.

Es ist kein Ineinanderfließen, eher ein bewusstes Zusammenführen, das hier in Südafrika stattfindet. Auf mehreren der Bilder der Galerie ist Nelson Mandela zu sehen. Der Anti-Apartheid-Kämpfer und frühere Politiker, heute 95 und schwer erkrankt, ist nach wie vor das einende Element im Land und begleitet Südafrika-Reisende auch auf der Suche nach der Kreativ-Szene permanent.

Die Woodstock-Exchange-Factory an der Albert Road 66, ein ehemaliges Fabrik-Gebäude. Es ist ein wachsendes Kreativ-Hub mit Läden, Werkstätten und Cafés hier. In einem Schuhladen ist eine Arbeiterin beim Lederschneiden durch ein großes Fenster zu beobachten. Die Wohn- und Leuchtendesigner Pedersen und Lennard sind zwar nicht sichtbar, haben sich aber hier genauso angesiedelt wie der Grafikdesigner Jordan Metcalf oder Bandwidth Barn, die kreativen Jungunternehmern beim Start ihres Geschäfts unter die Arme greifen. In einem Möbel-Laden, jenem von Thing-King, lümmelt Chucky, die Mörderpuppe auf einem der Tische. Es ist das Ladenlokal von Marc Nicolson, gemeinsam mit Lyall Sprong setzt er auf Produkt- und Möbeldesign, das er an- und verkauft. Daneben beschäftigt sich Thing-King auch mit Design-Beratung und macht 3D-Visualisationen: „Südafrika, Kapstadt ist im Aufbruch“, sagt er. Er schätzt die Diversität hier, jung arbeitet neben alt, schwarz, farbig, weiß: „Heute ist es hier anders. Vor einigen Jahren hätte man, ohne beraubt zu werden, nicht durch die Straßen hier gehen können.“

Vor seinem Ladenlokal an Ecken und in den Durchgängen ist Kunst im öffentlichen Raum – eine pink-violette Rohrskulptur, das mit Gras bewachsenen Pferd, der überdimensionale silberfarbene Boston Terrier, der just an diesem Tag von seinem lebenden schwarz-weißen Baby-Pendant an der Leine einer Südafrikanerin links liegen gelassen wird, weil dieser lieber die durch die Exchange-Factory schlendernden Menschen beschnüffelt. Und wieder Mandela, dieses Mal etwa auf dem T-Shirt von Verb, die im Revolution-Skateboard-Supply-Laden verkauft werden. Verb ist eine gemeinsame Initiative von zwölf prominenten und noch unbekannten Illustratoren. Sie wollen nicht nur Skateboards gestalten, sondern die Gesellschaft weiterentwickeln. Bei ihrem T-Shirt-Design setzt Verb auf politische Statements. Mandela ist Teil der „Activist Tribute Series Nummer 1“, sie wird mit dem Slogan „Kreativität, Aktivismus, Vorantreiben“ im Shop beworben. „Kunst ist ein Medium, das keine Grenzen setzt oder Grenzen hat, und in der Zusammenarbeit können wir die Botschaft des Wandels verbreiten“, verlautbart Verb auf der Homapage dazu.

In Woodstock ist auch die The-Old-Biscuit-Mill. Heute ist damit keine Mühle mehr gemeint, sondern ein Ort, wo Traditionelles und modernes Design aufeinander treffen. Es ist eine Art Dorf für Fans von Handwerk und Keramik, das es in den vielen Läden zu bestaunen und kaufen gibt, aber auch Treffpunkt für Designer, an Design Interessierten, Studierenden und nicht zuletzt Gourmets: Jeden Samstag gibt es seit 2006 den Neighbourgoods Market hier, bei dem lokale Bauern, Bio-Kaufleute, Bäcker und Metzger ihre Produkte feilbieten. Wem es weniger traditionell beliebt, kann auch anderentags herkommen, denn neben The Test Kitchen, einem der Top-Adressen in Kapstadt, hat der von Food-Magazinen preisgekrönte Chef-Koch Luke Dale-Robert letztes Jahr das Lokal Pot Luck Club & Gallery eröffnet, das nun ganz oben auf der Cape Town Creative Academy (CTCA) thront. Besucher ergattern von hier einen Blick über Woodstock und auf den Tafelberg, manchmal auch abends beim Essen, es soll für Wochen im Voraus ausgebucht sein.

In der CTCA vermitteln an diesem Tag ältere Designer und Architekten jungen in Kleingruppen ihr Wissen. Man arbeitet hier eng mit der Kreativwirtschafts zusammen, um nicht in der Theorie hängen zu bleiben, sondern sich den realen, praktischen Herausforderungen zu stellen. Kooperiert wird etwa mit Firmen wie der VoiceBox in San Francisco, den Apple-Medien-Entwicklern Glucode in Pretoria, Jurumani, Experten für mobile Medien in Johannesburg oder dem Verlag Tip in Kapstadt.

In den Läden am Fuße der CTCA gibt es lokal produzierte Wohnassecoires bei „Quirky me“, Holzmöbel im Continuum, alles rund ums Foto in der Exposure Gallery und Keramik, viel Keramik in diversen Ladenlokalen. In einem präsentieren die Keramik-Designer unter dem Namen Imiso ihre Arbeit. Dahinter stehen Zizipho Poswa und Andile Dyalvane. Zizipho Poswa sagt, dass sie sich am „Bodypainting, einer typisch afrikanischen Kunstform“ orientiert. Ihre Schalen und Krüge sind mit feinen Pinselstricken überzogen, die teilweise wie Schnitte in den Ton gearbeitet sind: „Es ist wie einen Körper zu tätowieren“, sagt sie. Und Andile Dyalvane wiederum lässt sich von einer großen Persönlichkeit inspirieren. Es ist nicht Mandela, es ist Picasso. Ihn schätzt er, weil dieser vor vielen anderen afrikanische Kunst zu schätzen wusste, „sie nicht für primitiv hielt“. Auf vielen seiner Arbeiten finden sich Anleihen, wie zum Beispiel die Picasso-typischen Augen wieder. Mandela ist hier in Old-Biscuit-Mill auf einem Plakat im Art Lab, der Druck- und Kopierwerkstatt zu sehen, deren Maschinen nicht nur die Studierenden gegen Entgelt auch selbst benützen können.

Eigentlich ist die Victoria & Alfred Waterfront ein Hafen. Davon zeugt ein riesiger vor sich hinrostender Kahn im Meer, oder ein im Vergleich dazu kleineres Schiff, dass Arbeiter im Trockendock gerade reparieren, aber auch zahlreiche Segelboote und Ausflugsschiffe, die auf Touristen, die hier in der Mehrheit sind, warten. Was nicht wundert, die V & A Waterfront soll die meistbesuchte Touristenattraktion Südafrikas sein. Sie ist auch Schauplatz von Festivals, wie dem dreiwöchigen Aqua Musikfestivals mit Jazz und Pop. Sonst gibt es hier Straßenmusiker-Grüppchen, die Pop-Hadern, Folklore, manchmal auch Jazz spielen und ihre Werke auch gleich auf CDs feilbieten.

Design beschränkt sich hier vor allem auf Schnitzwerk, Steinskulpturen, Perlen-Drahtgeflechte – Motiv ist zumeist ein traditionelles Afrika, Elefanten, Krokodile, Masken, wie sie Souvenirjäger suchen. Es ist eine etwas künstlich wirkende, aber trotzdem beliebte Ess-, Shopping- und Souvenir-Zone mit 6-Sterne-Hotel, Galerien, einer Messe-Halle. Es gibt einige, alte restaurierte Gebäude, auch Möwen, viele der Bauwerke sind aber neu errichtete, stammen erst aus dem Jahr 1992. Dazu ein knall-gelber Leuchtturm und wer den Tafelberg, der mit seinen 1087 Metern, beinahe von allen Punkten der Stadt aus sichtbar ist, wenn er nicht gerade vom Nebel verdeckt wird, noch nicht gesehen hat, kann das von hier aus nachholen. Und nicht zu vergessen und übersehen ist auch „Elliot“, ein 18 Meter hoher Fussball-Fan aus 42.000 Cola-Cola-Kisten, der hier seit 2011 sitzt und nach der WM 2010 interessanterweise an Recycling erinnern soll.


Aber auch hier wieder Mandela, etwa auf dem Plakat Free-Nelson-Mandela. Denn vom V & A Waterfront aus verlässt mehrmals pro Tag ein Schnellboot das Festland zur Robben Island, der Gefängnisinsel, wo der erste schwarze Präsident Südafrikas 18 Jahre lang inhaftiert war und heute andere ehemalige politische Häftlinge wie etwa Derick Basson von der Geschichte des Ortes erzählen.

Das Beautifull-Life-Building, in der Bree Street. Hier können Kreative die Serviceleistungen der 2010 begründeten Stiftung „Youngblood arts & culture development“ die Räumlichkeiten für Ausstellungen, Lesungen und Workshops, aber auch für die Organisation, das Marketing oder den Verkauf derselben nutzen. Sie müssen nur bereits sein, mindestens 25 Prozent ihrer Erlöse aus Verkäufen, die dann wieder künstlerischen Kooperationsprojekten zu Gute kommen, abzuliefern. Im Erdgeschoss wartet wieder Speis und Trank auf Besucher, inmitten von verkäuflichem Glasdesign, Vasen und Skulpturen. Schon auf den Treppen der zwei Stockwerke nach oben wieder beginnt die Ausstellung verschiedenster Kunstwerke, dazwischen arbeitende Designer, Grafiker und Illustratoren. Auch der Werbe-Comic für die Fussball-WM 2010 soll hier entstanden sein. Und wieder Mandela, hier in Acryl auf einer 1,57 mal 1,45 Meter großen Leinwand von Luis Torne. Er hat auch die Popstars Amy Winehouse und Prince verewigt, aber „in der Politik ist mein persönlicher Held Mandela“, lässt er die Leser des Youngblood-Arts-Katalog wissen.

Die Gegend rund um die Breestreet mit ihren breiten, stark befahrenen Straßen steht im scharfen Kontrast zum Bo-Kaap-Viertel. Das Moslem-Viertel in der Wale-Street ist eines der ältesten Wohnviertel Kapstadts. Es ist frisch renoviert und bunt, strömt Gelassenheit aus, nicht nur die Häuser, die in leuchtem Pink, Orange, Grün und vielen anderen Farben erstrahlen, sondern auch die Menschen, die hier mit Bier oder Tee auch die Straße mit zum Wohnraum machen. Neben Moslems, die traditionell hier leben, soll das Viertel auch bei Weißen Mittelständlern als Wohngegend an Attraktivität gewonnen haben. Von ihnen ist nichts zu sehen. Stattdessen die abschüssige Straße mit dem Fahrrad hinunter bretternde Kinder oder ein paar Jungs, die hier am Balkonsims lümmeln und einer Gitarre mexikanische Melodien entlocken, „weil er die eben mag, gerne für sich selbst und seine Freunde spielt“, meint einer davon.

Und da ist The Fringe, das selbsternannte Ökosystem für Innovation. Es stellt sich als urbanes Labor für Design, Medien-und IKT-Innovation, Kreativität und Unternehmergeist vor. Eigentlich ist es ein Viertel ähnlich jenem von Woodstock, das sich zwischen Roeland- und Darling-Street, Buitenkant- und Canterbury- Street erstreckt. Hier befindet sich eine Ansammlung von Film- und Musikfirmen, Architekten, Designern. Als Early Adopter gilt „The Bank“, ein Kollektiv von Designern. Hier gibt es Räume für junge Kreative zum Arbeiten und Ausstellen, in unmittelbarer Umgebung verschiedener Design-verwandter Bildungseinrichtungen, wie der „Cape Peninsula“-Universität mit der Fakultät für Informatik und Design, Cape Town School of Photography, oder dem Cape Craft & Design Institute.

Und wieder Mandela, im August ließen es sich die Künstler des Cape Craft and Design Institute nicht nehmen, eine Homage an Nelson Mandela zu gestalten. Daraus geht hervor, dass das Land um Madiba, wie Mandela von seinen Landsleuten liebevoll mit seinem Clannamen genannt wird, zittert. Denn das Land kämpft, trotz aller Innovation und Unternehmergeist von vielen, mit Korruption, Verbrechen insbesondere gegen Frauen und nur losen Verbindungen zwischen den Menschen unterschiedlicher Hauptfarbe. Noch schwellen die trennenden Konflikte aus Zeit des Apartheid-Regimes unter einer nur dünnen demokratischen Decke, die nur im Glauben an den Freiheitskämpfer zu halten scheint. Passend, dass sich am Rande von The Fringe, das District-Six-Museum, das an die Zerstörung des multiethnischen, kulturellen Viertel der Stadt in den 60ern erinnert, befindet. Alle Gebäude hier wurden im Gegensatz zum Bo-Kaap-Viertel vom Apartheid-Regime abgerissen. Es sollten moderne Wohngebäude für Weiße entstehen, tatsächlich gebaut wurden die Gebäude der technischen Universität. Das Museum verdeutlicht noch heute das Unrecht von damals. 2014 soll das The Fringe jedenfalls Ground Zero der Design-Hauptstadt Kapstadt sein.

(Das Original vom im September im Schaufenster der Presse erschienenen Designartikel)

Seite zurück